Prof. Dr. Stephan Ory: Immer noch alles Rundfunk? Vielfaltsicherung in fragmentierten Märkten

04.11.2016, ein Beitrag von

Rundfunk als lineares Programm hat weiterhin hohe Nutzungszahlen, egal über welchen Vertriebsweg, d.h. klassische oder IP-basierte Vertriebswege. Kleinanbieter wie die saarländischen Anbieter, die in diesem Konzert mitmischen wollen, haben ihre Hauptumsätze im klassischen linearen Bereich. Die Umsätze aus dem Online-Bereich sind gering. Dies ist ein großes Problem, wenn man darüber nachdenkt, dass es nicht so bleiben wird, dass nämlich zukünftig kein Hauptvertriebsweg mehr bestehen wird, sondern sich die Verbreitung und Nutzung auffächern wird. Offen ist, wie schnell sich so ein Wandel vollzieht und hinsichtlich der Vielfalt und des journalistisch-redaktionellen  Angebots auswirkt. Weiterhin stellt sich die Frage, wie Online-Journalismus künftig finanziert werden soll. Denn es sollen Online-Journalisten sein und nicht Algorithmen, die Angebote nach journalistischen Grundsätzen zusammenschnüren.

Die Politik muss einen Ordnungsrahmen schaffen, der den Marktzutritt kleiner Unternehmen erlaubt.

Eine Aussage der ZDF-Doku Schöne neue Welt war, dass Silicon Valley deshalb prosperiert, weil die Politik nichts tut. Ein interessanter Ansatz, dem man unser Bundesverfassungsgericht entgegenstellen kann, das zum Thema Rundfunkfreiheit sagt, man brauche erst eine Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit, bevor überhaupt Privatfunk gemacht werden kann. Argument hierfür ist, dass Fehlentwicklungen nicht rückholbar sind. Es ist feststellbar, dass bezogen auf das, was man im Internet findet, das, was das Bundesverfassungsgericht zur Rundfunkfreiheit im klassischen Bereich entwickelt hat, eigentlich nichts mehr wert ist. Die Politik hat hier die Aufgabe, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der künftig auch kleinen und mittleren Unternehmen einen Marktzutritt erlaubt, wobei ich mit Marktzutritt auch Vielfalt meine. Denn nur wer am Markt überhaupt auftreten kann, kann vielfältige Angebote machen.

Welche Stellschrauben haben wir noch?

Nun zum Vielfaltsbegriff selbst: Alle relevanten Gruppen, so jedenfalls bisher im klassischen Rundfunkbereich, sollen bei Programmangeboten vorkommen. Und das – jetzt komme ich auf den Medienrat – war auch die Aufgabe oder die Stellschraube, die uns der Gesetzgeber klassisch mitgegeben hat. Wir sollten durch Auswahl, etwa bei Frequenzen, darauf achten, dass der Programmanbieter mit dem breitesten Angebot, in dem möglichst viele gesellschaftlich relevante Gruppen zu Wort kommen, eine Frequenz erhalten soll.

Nun hat der Jugendsender Sunshine Live, ein Lokalradioprogramm in Schwetzingen, gerade seine UKW-Frequenzen zurückgegeben, weil er seine Zielgruppe über das Internet, Digitalradio, Satellit und das digitale Kabel erreicht. Damit dreht er dem Baden-Württembergischen Medienrat sozusagen eine lange Nase und sagt ihm, dass seine Stellschraube nichts mehr wert ist. Welche Stellschrauben haben wir also noch?

Nochmal, ich liefere Ihnen heute kein fertiges Gedankengebäude, sondern lediglich ein paar Impulse:

Schaffen eines Level-Playing-Fields

Die Vorgaben, die bisher für Rundfunk gelten, können auch auf Telemedien, also auf das, was im Internet stattfindet, ausgeweitet werden. Die AVMD-Richtlinie der EU ist in der Novellierung. Es wird vorgeschlagen, dass bestimmte Anforderungen, die bisher nur für den Rundfunk galten, quasi vor die Klammer gezogen werden, so dass sie zukünftig auch für den anderen Bereich gelten. So könnte zum Beispiel vom Anbieter Netflix gefordert werden, dass er auch 20 Prozent europäische Produktionen zeigen muss. Wenn man so will, ist das jedenfalls auf kultureller Vielfaltsebene ein Momentum, bei dem man versucht, auf dieser Art von Regulierung hinzukommen. Vielfalt könnte dort also in einem Teilbereich entstehen, aber die generelle Übertragung der Vielfaltsicherung, die aus dem analogen Bereich bekannt ist, dass also Netflix in seinem Abrufdienst auch noch Nachrichtensendungen anbieten müsste, wird nicht funktionieren. Hier ist die Grenze dieser Stellschraube erreicht.

Facebook und seine Nutzer für Äußerungen zur Verantwortung ziehen

Das Äußerungsrecht ist eine andere Stellschraube. Ich glaube, dass man die Nutzer von Facebook und auch Facebook selbst zur Verantwortung ziehen muss. Wer sich wie am Stammtisch, aber diesmal auf offener Bühne, über andere Leute äußert, der muss eben auch die Konsequenz ziehen und dafür gerade stehen. Die Gerichte argumentieren im Moment manchmal, dass man Personen, die hinter einem Facebook-Account stehen, sowieso nicht finden könne und problematische Kommentare nur in der geschlossenen oder kleinen Facebook-Gruppe gepostet würden und somit nicht geahndet werden können bzw. müssen. Ich glaube, dass sich vieles ändern würde, wenn Leute für das, was sie schreiben, auch gerade stehen müssten. Das gehört zum Punkt Persönlichkeitsrechtsschutz und der führt über zum Datenschutz.

Datenschutz muss Recht auf Kommunikation beachten

spickmich.de mit Datenschutzfragen in den Griff zu bekommen. Hier gilt es zwischen Datenschutz und Äußerungsrecht auszutarieren. Und dann gibt es ja noch das schöne Recht auf Vergessen. Ich weiß nicht, obwohl es gerade in der Datenschutzgrundverordnung geschrieben steht, ob es so sinnvoll ist, wie das diskutiert wird. Neulich habe ich bei Google „Nero“ eingegeben. Was dort alles über den armen Kerl steht, das ist alles persönlichkeitsrechtsverletzend. Sie merken an dem Beispiel natürlich, was ich Ihnen sagen will. Recht auf Vergessen ist eines. Aber Recht auf Kommunikation, auf dem Vorhalten von gesellschaftlich relevanter Information ist etwas anderes, und ich bin mir nicht sicher, ob die Diskussion, die hierüber geführt wird, die Ausbalancierung dieser Stellschraube richtig getroffen hat.

Big Data Kartelle mit dem Ziel der Vielfaltssicherung aufbrechen

Nebenbei, wir haben über Daten geredet. Die Zuordnung von Daten zu demjenigen, der sie aus der Allgemeinheit heraus filtert und dann diese Daten als Big Data besitzt, diese Zuordnung, die wir wie ein Eigentumsrecht vornehmen, will ich in Frage stellen. Das ist ähnlich wie im Urheberrecht und im Patentrecht. Es gibt Schranken und derjenige, der etwas aus der Allgemeinheit heraus gezogen hat, der muss auch etwas an die Allgemeinheit zurückgeben. Diese einzelne Zuordnung zu einem großen Unternehmen ist etwas, über das, was wir diskutieren sollten.

Die Idee war, dass man das doch auf Facebook und Google+ oder auf Suchmaschinen übertragen könnte, d.h. dass zwar ein Großer entstanden ist, aber man für die Kleinen, die entstehen könnten, Interoperabilität herstellen muss, so dass z.B. bei der Anzeige von Suchergebnissen auch deren Suchergebnis mit angezeigt wird. Das müsste man noch genauer ausformulieren, aber zumindest die Idee finde ich gut. Diese Stellschraube kommt aus einem völlig anderen Bereich, kann aber die Vielfaltsicherung, die vorhin angesprochen wurde, gewährleisten. Sicher, Netzneutralität ist etwas anderes, Kartellrecht als Stellschraube ist strukturell etwas anderes als Vielfaltsicherung, auch wenn es in den großen Bereichen zusammen läuft. Und jetzt will ich noch mal für das Bundeskartellamt eine Lanze brechen. Dass es beispielsweise sagt, die Währung Daten sei relevant für einen  Kartellrechtstatbestand, also nicht nur ein Zusammenschluss durch Geld, sondern auch ein Zusammenschluss durch Daten, sei relevant. Das halte ich für eine innovative Idee und die kann man durchaus im Sinne einer Stellschraube weiterentwickeln.

Urheberrecht und Verbraucherschutz sinnvoll austarieren

Und dann gibt es noch das Urheberrecht. Ob dort alle Schranken so sind, dass auch wirklich Angebote jenseits des Linearen reguliert und vor allem auch die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen ausreichend berücksichtigt sind, ist etwas anderes. Und Urheberecht führt manchmal sehr schnell zum Verbraucherschutz. Und wenn man dann sagt, der Verbraucher müsse doch vor Urheberrechtsabgeltung geschützt werden, dann bin ich mir nicht sicher, ob man da etwas missversteht.

Alle diese Stellschrauben bilden ein hochkomplexes Räderwerk, das regelmäßiger Anpassung und Überprüfung bedarf. Die Politik und vielleicht auch die Wissenschaft scheinen gerade erst dabei zu sein, dieses System zu verstehen, weil jeder nur sein eigenes Subsystem betrachtet und das Zusammenwirken der einzelnen Bereiche nicht im Blick hat.

Und wo bleibt da der Medienrat der LMS?

Wir versuchen zusammen mit den anderen Medienanstalten in diesem Prozess Hinweisgeber zu sein, richtungsweisende Fragen zu stellen und Antworten mit unterschiedlichen Gesprächspartnern zu suchen. Dabei haben wir auch immer die Vielfalt des regionalen Marktes und die Zugangschancen der regionalen Anbieter im Blick. Ob das genug trägt, um Medienanstalten auch in der Zukunft noch zu haben, ist ein anderes Thema.