Uwe Conradt: Spielregeln des digitalen Marktes klarer definieren

04.11.2016, ein Beitrag von

Vieles, was mit dem Etikett „digital“ geschmückt wird, soll unser Leben schöner und einfacher machen. Es scheint, als wenn die Science-Fiction-Träume aus den technikgläubigen fünfziger Jahren nun endlich Realität werden könnten bzw. schon sind.

In der Tat ist die Bilanz der technischen Veränderungen beeindruckend. Nur jeder achte Bundesbürger ist kein Internetnutzer, weit über 20 Millionen Deutsche sind vernetzt in sozialen Netzwerken, von 1000 Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren geben 990 an, über ein Handy, in der Regel ein Smartphone, zu verfügen. Dabei leben wir erst im Jahr 9 seit Einführung des iPhones und vieles spricht dafür, dass der ‚Tsunami an Innovationen’, wie es Claus Kleber in seiner ZDF-Dokumentation „Schöne neue Welt“ nannte, erst vor uns liegt.

Die Digitalisierung ist im Begriff alle Lebensbereiche zu durchdringen, mit Auswirkungen auf den Einzelnen, aber auch auf die Gesellschaft und ihre Strukturen. Wie ändert sich der demokratische Prozess in der digitalen Gesellschaft? Welchen Einfluss üben Medien auf diesen Prozess aus und welchen Einfluss können manche Unternehmen auf Medien ausüben? Diesen Fragen soll in diesem Artikel nachgegangen werden. Es liegt auf der Hand, dass die digitale Gesellschaft einen erheblichen Bedarf an einer der zentralen Aufgaben der Landesmedienanstalten hat, der Medienkompetenzförderung, die Menschen die digitale Teilhabe ermöglicht. Dieser Artikel soll jedoch weiter führen, denn Digitalisierung – soviel sei vorweg gesagt – betrifft die Medienregulierung in ihren Grundfesten.

Medien sind Faktor der öffentlichen Meinungsbildung und aufgrund ihrer spezifischen Funktion in der freiheitlich demokratischen Grundordnung hat sich ein abgestuftes und feingliedriges Regelsystem etabliert, dessen Aufgabe es ist den Missbrauch zu verhindern.

Dem vorausgegangen ist vom Buchdruck über Zeitungen bis zu Radio und Fernsehen eine Geschichte, in der immer wieder technische Entwicklungen neue Medien hervorgebracht haben. Aber es ist auch eine Geschichte mit zahlreichen Rückschlägen für die Meinungsfreiheit. In vielen Zeiten galt, dort wo die Macht über Medien missbraucht werden konnte, wurde sie auch missbraucht.

Der Schutz der Meinungsvielfalt ist die Kernaufgabe der Landesmedienanstalten, deshalb geht deren Geburtsstunde mit der Zulassung des privaten Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland einher. Ihre staatsferne Organisationsform und Finanzierung ist Ergebnis der föderalen Struktur, der Funktion des privaten Rundfunks und  ihres Verfassungsauftrags. Sie nehmen Aufsichtsfunktionen wahr, darunter der Schutz der Menschenwürde und der Jugendmedienschutz, und haben letztlich darauf hingewirkt, dass durch ihre Zulassungen und Frequenzzuweisungen sowie die Vornahme von Kabelbelegungen ein privater Rundfunk entstanden ist, der im Vergleich zu anderen Ländern eine sehr bemerkenswerte Veranstaltervielfalt aufweist.

Rundfunk war zu Zeiten, in denen man kaum mehr als eine Hand voll Programme in einem Gebiet terrestrisch verbreiten konnte und die Herstellung jedes Programms zudem sehr teuer war, per se ein Massenmedium. Das auch heute noch erforderliche, aufwendige Zulassungsverfahren war für jedermann einleuchtend, die  Aufgabe der Landesmedienanstalten seinerzeit die einer Monopolverwaltung.

In Zeiten in denen die Frequenzknappheit nahezu überwunden ist und in der jeder Rundfunkveranstalter werden kann, ist die Vermutung des Massenmediums zu hinterfragen und auch die Aufgabe der Monopolverwaltung.

Ob über Periscope oder Facebook Live, jeder kann sofort zum Live-TV-Sender werden oder seine Textnachrichten über Twitter oder Facebook einem Massenpublikum zugänglich machen. Was Massenmedium ist und was nur wenige Freunde sehen, entscheidet heute kein Medienrat, sondern Suchalgorithmen – da sind wir beim Thema Meinungsvielfalt angekommen.

Wegfall der Kapazitätsengpässe und trotzdem die Wiederkehr des natürlichen Monopols

Der Wettlauf um Marktanteile ist wie in allen Märkten bei weitem nicht nur ein Wettlauf kreativer Ideen. Es geht auch darum, wer die Spielregeln des Marktes für digitale Produkte definiert. Wer an der digitalen Gesellschaft teilnehmen möchte, wird nicht mehr durch knappe Kapazitäten gehindert. Aber in der Welt der Apps und Suchalgorithmen wird man an Google, Apple und Microsoft nicht vorbeikommen.

Die drei sind die nach Marktkapitalisierung wertvollsten Unternehmen der Welt. Sie ziehen ihre Stärke aus ihrer spezifischen Marktposition. Alle drei sind Anbieter von erfolgreichen Betriebssystemen und alle drei verschenken diese in aller Regel. Warum sind dann diese Unternehmen so hoch bewertet?

Ebenso wie bei Facebook, das 1,5 Milliarden Menschen auch über seinen Messenger WhatsApp verbindet, gibt es einen spezifischen Vorteil für den Nutzer, wenn möglichst viele das gleiche Produkt wie er verwenden. Es ist nicht erst die künstliche Intelligenz, der selbstlernende Algorithmus, der immer besser wird, wenn er nur von möglichst vielen genutzt wird. Es liegt in der Grundstruktur etwas ganz Altvertrautes vor, nämlich das Marktsetting für ein natürliches Monopol.

Meinungsbildung in Gefahr … nicht wirklich, oder doch?

Aber haben wir wirklich eine problematische Situation? Gibt es nicht mehr Medienvielfalt als je zuvor? Und beeinflussen Betriebssysteme, Intermediäre und Plattformen überhaupt die Meinungsbildung?

Alle empirischen Daten zeigen, dass das Internet eine zunehmend zentrale Rolle bei der Informationsvermittlung und Meinungsbildung einnimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat einst den Rundfunk als ein „neben der Presse stehendes, mindestens gleichbedeutsames, unentbehrliches Massenkommunikationsmittel und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung“ bezeichnet. Das Internet ist zweifelsohne heute ebenso Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung und es ist verfassungsrechtlich dem Rundfunk zugeordnet.

In den Rundfunkentscheidungen der Karlsruher Richter wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass Rundfunkfreiheit eine dienende Freiheit ist und die Funktion der ungehinderten und freien Meinungsbildung erfüllen muss. In unserem Verfassungsverständnis muss der Staat zum Schutz der Rundfunkfreiheit Gefährdungen präventiv verhindern. Oder anders gesagt: Es ist verfassungswidrig abzuwarten, bis das Kind ‚Meinungsfreiheit’ im Brunnen liegt.

Auch in Zeiten des Entfalls von Kapazitätsengpässe und der grundsätzlich offenen Struktur des Internets gilt es daher, allen Gefahren möglichst präventiv zu begegnen, damit sich jeder ungehindert und frei informieren kann, denn dies ist Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

Künstliche Intelligenz als Gefahr für die Meinungsfreiheit?

In der F.A.S. hat vor wenigen Wochen Gerhard Weikum, der Saarbrücker Direktor des Max-Planck-Instituts für Informatik, auf die Gefahren von Algorithmus gesteuerten individuell zugeschnittenen Nachrichtenseiten hingewiesen. Denn eine Verengung des wahrnehmbaren Meinungsspektrums auf bestimmt Inhalte leiste einer weniger offenen Gesellschaft erheblichen Vorschub.

Selbst der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Tim Höttges, weist in einem Interview in der FAZ vom 7. Juni 2016 darauf hin, dass die Gefahr besteht, dass wir uns nur noch in uniformen Gruppen bewegen. Bevor er im gleichen Interview mit der Formulierung „In der Digitalen Welt müssen die Zäune weg“ für die völlige Deregulierung des Marktes plädiert und meint, dass sich der Mensch freut, wenn er schweigend verstanden wird, sprich, wenn Algorithmen Antworten auf Fragen geben, die wir nicht gestellt haben.

Aufhorchen sollten wir, wenn ein Erfinder wie Tesla Chef Elon Musk davor warnt, dass wir Menschen die Kontrolle verlieren könnten, und fordert, man solle sich darauf vorbereiten, dass sich künstliche Intelligenz außerhalb des vom Mensch vorgegebenen Rahmens fortentwickelt.

Vielfaltssicherung: Wie ‚ungehindert und frei’ sind wir in der digitalen Welt?

In der alten analogen Welt stellte ein Unternehmen ein Auto her. Ihm gehörte jedoch nicht die Straße und es wusste nicht, wer im Auto sitzt und wo das Auto hinfährt. Es entschied nicht, welches Radioprogramm laufen und wo man einkaufen gehen kann. Der Autohersteller speicherte auch nicht alle Fragen, die in seinem Auto laut gedacht werden, und antwortete auch nicht auf Fragen, die nicht gestellt sind.

All dies unterscheidet die Welt von gestern von der digitalen Gesellschaft, in der wenige entscheiden können, ob und wie jemand an der Kommunikation, dem Handel und der Wertschöpfung aus dem eigenen kreativen Potential teilnehmen darf.

In der digitalen Welt sind Daten einer der wertvollsten Rohstoffe. Sie machen Suchmaschinen und soziale Netzwerke neben Betriebssystemen erst so wertvoll. Dies ist der Grund, warum manche Angebote scheinbar kostenlos angeboten werden und doch so wertvoll für diese Unternehmen sind.

Das systematische Erheben und Verarbeiten von Daten erlaubt es, noch bessere Produkte und Dienstleistungen zu erstellen. Doch wer entscheidet, welches digitale Produkt auffindbar ist? Wie weit ist es noch, bis man Massen steuern kann, wenn man will? Können wir ernsthaft darauf hoffen, dass sich die mächtigsten Unternehmen und alle ihre Mitarbeiter auch ethisch korrekt verhalten?

Sollten wir uns als Gesellschaft auf den Standpunkt einigen, dass Meinungsvielfalt ein mathematisches Problem ist und solche am besten von Algorithmen gelöst werden?

Allein der Google-Algorithmus ändert sich – so Analysen von Matt Cutts, Head of Googles Webspam Team – mehr als 600 Mal im Jahr. Was, wenn die dem Algorithmus zugeschriebenen Eigenschaften „objektiv“ oder „neutral“ nicht stimmen? Viele Rundfunkveranstalter wollen nicht allein den Algorithmen der Gatekeeper vertrauen und fordern die Sicherung der Auffindbarkeit ihrer Angebote.

Der Instrumentenkasten zur Sicherung der Meinungsvielfalt im Rundfunk basiert in erster Linie auf Programmbeiräten, Drittsendezeiten und Regionalfenstern. Warum kein Beirat für die Beratung über den Algorithmus? Warum kein Fenster für Qualitätsjournalismus auch in sozialen Netzwerken? Und warum sind eigentlich nur klassische Presse- und Rundfunkunternehmen gehalten, die Programmverantwortlichen zu benennen, und warum haben wir keine Kenntnis wer den Suchalgorithmus programmiert?

Kann ein Level-Playing-Field nicht auch bedeuten, die Vielfaltssicherung aus der alten Welt in die digitale Welt zu übertragen?

Daten- und Verbraucherschutz in Medien: Brauchen wir ein Recht auf digitale Teilhabe?

Jeder Konsument, der doch Individuum sein soll, hat derzeit nur eine Grundsatzfrage zu beantworten: Nehme ich an der digitalen Gesellschaft teil oder entscheide ich mich gegen sie? Durch die Einwilligung in meist völlig undurchschaubarer Vertragskonstrukte wird das individuelle Recht auf informationelle Selbstbestimmung weitestgehend ausgehöhlt. Wer dies nicht will, steht vor erheblichen Schwierigkeiten, weiterhin an der Gesellschaft teilzunehmen. Ohne Smart Phone, Facebook und WhatsApp gehört man in vielen Gruppen nicht wirklich dazu.

Big Data ist nicht nur eine Chance und ein Geschäftsmodell, es schließt auch jene aus, denen das Risiko zu hoch ist, die ihre Daten nicht zur Verfügung stellen wollen. Ich rege daher an, dass wir darüber beraten, ob wir für die digitale Gesellschaft ein Recht auf digitale Teilhabe benötigen. Ein Jedermannsrecht, meinungsvielfaltsrelevante Angebote marktstarker Intermediäre nutzen zu dürfen, ohne einer – zumindest gefühlt – unbegrenzten Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von persönlichen Daten zustimmen zu müssen.

Welchen Einfluss kann ein Land wie Deutschland überhaupt wahrnehmen?

Es scheint, als ob Deutschlands Rolle in der digitalen Welt längst definiert ist. Der Daten-Rohstofflieferant Deutschland ist auch Absatzmarkt für internationale Produkte. Lammfromm oder zumindest alternativlos bestätigen wir jede Änderung der Geschäftsbedingungen der Internetgiganten. Liefern im Gegenzug zur Nutzung des Angebots Daten über uns und unser Nutzungsverhalten.

Es sind Unternehmen, die auf ihren Plattformen die Regeln bestimmen. Bei denen Drittanbieter so lange geduldet werden, wie sie in das Konzept des Anbieters passen.

Sind wir Europäer auf diese Entwicklung vorbereitet? Sollten wir bremsen? Sollten wir steuern?

Bund und Länder haben in dem kürzlich veröffentlichten Bericht zur Medienkonvergenz dargestellt, dass sie an den hier erörterten Themen arbeiten. Das Ziel ist eine konvergente Regulierung in der konvergenten Medienwelt. Ebenso bereitet die EU neben der Revision der AVMD, die Einführung einer Plattform- bzw. Transparenzrichtlinie vor. Der Schlüssel liegt somit sehr wohl auch im Bereich der Politik.

Sind unsere föderalen Strukturen noch zeitgemäß?

Angesichts der Herausforderung liegt es nahe, dass wir bei der Gestaltung des Rechtsrahmens nach Europa schauen, uns internationale Abkommen wünschen und manche eine zentrale Agentur mit Weisungsrecht des Bundeswirtschaftsministers fordern.

Alle diese politischen Ebenen haben ihre Aufgaben, aber wenn es um die Freiheit des Rundfunks geht, dann steht diese mit der föderalen Gliederung unseres Landes in enger Verbindung. Der Bund hat hier keine Befugnis aus der Natur der Sache. Die Länderkompetenz ist eine von den geschichtlichen Erfahrungen geprägte, bewusste Entscheidung für die Aufteilung von Macht über publizistisch tätige Unternehmen. Durch sie wird verhindert, dass Macht zu Lasten der Meinungsvielfalt missbraucht wird. Ein Blick zu manchem Nachbarn im Osten und im Westen und erst Recht auf andere Länder außerhalb der EU zeigt, dass es auch heute kein vernünftiges Argument gibt, dem höchst sensiblen Thema der Sicherung der Meinungsvielfalt mit zentralistischen staatlichen Behörden zu begegnen.

Die digitale Gesellschaft wird kommen. Landesmedienanstalten werden bleiben.

Der ‚Tsunami an Innovationen’ wird kommen. Es liegt an uns zu entscheiden, ob wir zumindest versuchen unsere Prinzipien zum Schutz der Meinungsfreiheit, dort wo es sinnvoll ist, auf die neue Welt zu übertragen.

Hierzu gehört auch die Regulierung von Monopolen, denn durch den Wegfall von Kapazitätsengpässen verschwinden zwar einige kapazitätsbedingte Monopole, nicht aber Monopole per se. Skaleneffekte bei der Auswertung von großen Datenmengen und der Einsatz von selbstlernenden Algorithmen wird die Marktkonzentration tendenziell noch verstärken. Es gilt in der digitalen Gesellschaft auch den Qualitätsjournalismus sowie die mittelständisch geprägte Struktur der Rundfunkanbieter zu schützen.

Auch der Schutz der Menschenwürde, der Jugendschutz sowie der Daten- und der Verbraucherschutz werden die Medienanstalten weiterhin und zunehmend beschäftigen.

Und nicht zuletzt bleibt auch die Förderung der Medienkompetenz eine Daueraufgabe mit wachsender Bedeutung, denn der ‚Tsunami an Innovationen’ bringt mehr Chancen für denjenigen mit sich, der sich gut in der digitalen Welt zurechtfindet, und dies wollen wir doch alle.

All dies zeigt, dass es gute Gründe dafür gibt, die Frage nach der Notwendigkeit von Landesmedienanstalten auch weiterhin mit „ja“ zu beantworten.

 

 

Dieser Text wurde auch in der Ausgabe Promedia 8/2016 veröffentlicht.