Uwe Conradt: 10 Thesen zur Sicherung der Freiheit von Medien und Meinung im Zeitalter der Digitalisierung

Medienpolitischer Empfang der LMS fotografiert am Freitag (30.06.2017) in der Bel Etage in Saarbrücken.

03.07.2017, ein Beitrag von

Der britische Philosoph und Ökonom John Stuart Mill bezeichnete Freiheit als „die einzige untrügliche und andauernde Quelle für den Fortschritt“. Wie steht es um diese Quelle des Fortschritts in unserer Welt und welchen Einfluss nehmen Medien auf die Welt wie wir sie sehen?

Im Nachgang zum Brexit wurde die Rolle der Medien kritisch beleuchtet; das Reuters Institute der Universität Oxford kam in einer Studie zum Ergebnis, dass viele britische Medien kampagnenartig für den Brexit Stimmung gemacht haben. Dabei geht es nicht nur, aber auch um die Frage, wem die Medien gehören und wer durch Medien Einfluss nehmen kann. Ein Lehrstück dafür, dass auch in Zeiten zurückgehender Abonnentenzahlen und sich verschiebender Werbemärkte das Medienkartellrecht ein wichtiger Pfeiler in der Brandung ist. Medienvielfalt benötigt auch Anbietervielfalt.

Die US-Präsidentschaftswahlen brachten nicht nur mit Donald Trump einen twitternden Präsidenten hervor, sondern verstärkten auch eine Debatte über den Umgang mit „Hatespeech“ und „Fakenews“. Es geht dabei auch um die Frage, welcher Einfluss von Chatbots, Algorithmen und Sozialen Netzwerken auf die Meinungsvielfalt ausgeht und auch welcher Einfluss auf die Wahlen durch das Ausland genommen werden kann und in diesem Fall durch Russland genommen wurde.

Erst jüngst hat das Computation Propaganda Research Project in seinem Arbeitspapier zu Computer Propaganda in den USA analysiert, wie aus einem Nachrichtentropfen aus einem Account durch eine Armee aus 1000 bot-gesteuerten Accounts eine Nachrichtenflut wird. Dieser bekannte algorithmusgesteuerte Megafoneffekt konnte nicht nur nachgewiesen werden, sondern mit Blick auf Debattenverläufe kamen die Forscher zu dem Schluss, dass „Bots einen messbaren Einfluss auf die US Präsidentschaftswahlen in 2016 hatten“. Als besonders besorgniserregend bezeichnen die Forscher das Verhalten der Anbieter der sozialen Netzwerke, die den Effekt herunterspielen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Bots das Geschäftsmodell der Anbieter in den Grundfesten angreifen. Wer würde noch Twitter nutzen, wenn klar wäre, dass er Roboternachrichten liest oder ein Roboter sich mit der eigenen Meinung öffentlich kritisch auseinandersetzt?

Darüber hinaus sehen die Forscher die US-amerikanische Medienregulierungsbehörde FCC in der Pflicht ein Problembewusstsein für die Existenz von Bots zu entwickeln.

Die Ereignisse rund um den Putschversuch in der Türkei zeigten, dass Werte und grundlegende demokratische Rechte in höchster Gefahr sind, wenn es keinen gesellschaftspolitischen Konsens über demokratische Grundregeln gibt: Entlassungswellen bei Staatsdienern, Verhaftungen von Journalisten und Oppositionspolitikern, Lizenzentzüge für Rundfunkveranstalter und Schließung von sonstigen Medien, einschließlich der zeitweisen Blockade von Facebook, WhatsApp und Twitter. Die Türkei ist übrigens Mitglied des Europarats, der sich nach eigener Angabe seit 1993 verstärkt der Wahrung der demokratischen  Sicherheit widmet, wozu nach eigenem Bekunden u.a. der Einsatz für die  Menschenrechte, die Sicherung  demokratischer Grundsätze  sowie die rechtsstaatlichen Grundprinzipien zählen. Immerhin entsendet er nach einem Beschluss von April dieses Jahres zwei Beobachter in die Türkei. Die Abstimmung über das umstrittene Verfassungsreferendum hat im Übrigen gezeigt, dass die Diskussion um die Werte der offenen und demokratischen Gesellschaft auch mit einer Mehrheit der türkischen Staatsangehörigen in Deutschland neu und entschlossen zu führen ist.

In Deutschland haben die Ereignisse vom 22. Juli 2016 in München gezeigt, wie sehr Medien in kürzester Zeit zu einer Hysterisierung einer ganzen Stadt führen können.

Durch eine Liveberichterstattung, in der immer wieder über „drei Täter mit Langwaffen“ und verschiedene Tatorte in der Innenstadt spekuliert wurde, versetzte der Amoklauf einer einzelnen Person in einem Einkaufszentrum, bei dem neun Menschen durch den Täter getötet wurden, eine ganze Stadt in Panik. Übertriebene Angst ist ganz sicher eine Gefahr für die offene Gesellschaft. Deshalb zeigt das Beispiel, wie sehr Freiheit mit Verantwortung gekoppelt ist. Freiheit – auch die Meinungsfreiheit – ist kein schrankenloses Recht. Dabei ist eine wichtige Schranke die Vermittlung von ausreichend Kenntnis darüber, was eine journalistisch saubere Arbeit ist. Für uns als LMS im Übrigen auch ein Fall von berechtigten Programmbeschwerden, die zu mehr journalistischer Sorgfalt in diesen Lagen mahnen.

Freiheit ist der zentrale Wert der westlichen Gesellschaft; nur sie ermöglicht die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Lebensentwürfe in der Bevölkerung. Eine möglichst umfassende individuelle Freiheit – dies hat die Geschichte gezeigt – braucht einen stabilen Ordnungsrahmen. Wie sehr Freiheit in unserem Ordnungsrahmen verankert ist, wird allein schon deutlich, wenn man die Kaskade des Ordnungsrahmens – exemplarisch von den Medien ausgehend – benennt.

Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit sind Teil der Meinungsfreiheit. Diese ist Teil der Grundfreiheiten und diese sind elementarer Bestandteil der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung.

Der Freiheitsindex Deutschland, der im Jahr 2016 zum sechsten Mal durch das John Mill Institute erhoben wurde, stieg 2016 gegenüber dem Vorjahr von minus 1 auf plus 0,33 auf einer Skala von minus 50 bis plus 50. „Der Anstieg des Gesamtindexes beruht vor allem darauf, dass der Wert der Freiheit seinen Stand in der Medienberichterstattung verbessern konnte. Der gesellschaftliche Stellenwert und das subjektive Freiheitsempfinden dagegen sind im Vorjahresvergleich gesunken“, resümierte die F.A.Z..

Die Direktorin des Mill Instituts, Ulrike Ackermann, sagte gegenüber der Wirtschaftswoche „Die Bevölkerung bekunde zwar, so die Autoren der Studie, ein hohes subjektives Freiheitsgefühl. Allerdings sagen immer mehr Befragte auch, dass man bei öffentlichen Gesprächen vorsichtig sein müsse, seine Meinung zu äußern.“ Tatsächlich weist die Studie einen sich seit Jahren fortsetzenden Negativtrend aus, ein Trend der – so meine ich – überaus beunruhigend ist, aber auch Anlass, kritisch zu hinterfragen, über wieviel Medienkompetenz Bürger verfügen, bevor Sie in den sozialen Medien die Rolle des Senders anfangen zu übernehmen.

 

10 Thesen zur Sicherung der Freiheit von Medien und Meinung im Zeitalter der Digitalisierung

  1. Das Zeitalter der Digitalisierung kann und muss ein Zeitalter der Chancen, ein Zeitalter der freien und offenen Gesellschaft werden. Auch die sozialen Medien, Plattformen und Intermediäre leisten hier schon heute einen wertvollen Beitrag. Noch nie konnten so viele Menschen ihre Meinung vor einem so großen Publikum öffentlich kundtun.
  2. Die freie Welt ist in Gefahr, aber Gefährdungen ist sie seit jeher ausgesetzt. Die Geschichte der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit hat gezeigt, dass nur ein stabiler freiheitlich-demokratischer Ordnungsrahmen ein Höchstmaß an individueller Meinungsfreiheit gewährt.
  3. (Meinungs-)macht braucht Kontrolle: hierzu gehört sowohl die Sicherung der Finanzierung eines unabhängigen Qualitätsjournalismus, der nach dem Prinzip der journalistischen Sorgfalt, ausgewogen und in möglichst vollständiger Breite berichtet, als auch ein Medienkartell- und Vielfaltssicherungsrecht, das die Anbietervielfalt auch gattungsübergreifend gewährleistet. Die Kartellbehörden und die KEK sind in ihrer Rolle zu stärken.
  4. Die demokratische Gesellschaft muss ihre Werte und Normen auch gegenüber globalisierten und äußerst marktmächtigen Anbietern von sozialen Medien effektiv durchsetzen. Hierzu zählen wahrnehmbare Bußgelder oder auch Gewinnabschöpfungen bei Regelverstößen und eine Besteuerung, die den jeweiligen nationalen Staaten angemessen zufließt. Die regulierte Selbstregulierung ist ein etabliertes Instrument, jedoch gilt es zu hinterfragen, ob die Regulierung der Selbstregulierung den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach einem effektiven Jugendmedienschutz genügt und nach dem Prinzip der Staatsferne ausgestaltet ist.
  5. Soziale Medien als öffentlich-gewidmeter Diskussionsraum mit ethischen Regeln für den Einsatz von KI: Marktmächtige Anbieter von sozialen Medien sind Herrscher über öffentliche Plätze des digitalen Zeitalters. Wie bei einem Privatgrundstück auf Straßen und Plätzen sollte nicht allein die Hausordnung des Eigentümers darüber bestimmen, wer das Grundstück wie nutzt. Zur Sicherung der Meinungsfreiheit darf die demokratische Gesellschaft definieren, nach welchen Regeln die Steuerung der Aufmerksamkeit und der Auffindbarkeit in diesen digitalen Diskussionsräumen stattfinden soll. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz braucht nicht nur im Bereich des autonomen Fahrens ein ethisches Fundament, sondern auch bei der Bewertung von Meinungen. Dabei kann uns die Überlegung leiten, dass soziale Netzwerken aufgrund ihrer Funktion für die demokratische Gesellschaft zumindest in Teilbereichen der algorithmischen Steuerung wie Straßen und Plätze eine öffentliche Widmung erfahren könnten.
  6. Um Machtkonzentration auch auf staatlicher Seite wirksam zu verhindern, fällt die Medienregulierung im föderalen Staat bewusst den Ländern zu. Der Bund hat keine Zuständigkeit aus der Natur der Sache. Angesichts der bestehenden Herausforderungen sind die Ergebnisse der Bund- Länderkommission zur Medienkonvergenz zeitnah und unter Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte der Länder umzusetzen.
  7. Gleichgültigkeit ist der größte Feind: Die Sicherung der Meinungsfreiheit muss von jeder Generation neu erkämpft werden und der bestehende freiheitlich-demokratische Ordnungsrahmen verteidigt werden. Die wahrscheinlich größte Gefahr ist die Selbstzufriedenheit und der Eindruck, Freiheit sei auf alle Zeit abgesichert, weil es an wichtiger Stelle festgeschrieben steht.
  8. Grenzen der Toleranz: Die offene Gesellschaft verlangt ihren Mitgliedern ein höheres Maß an Toleranz ab, gerade dann, wenn Meinungen nicht mit der eigenen Überzeugung übereinstimmen. Das Dulden und Ertragen von Denkhaltungen, die nicht der eigenen Überzeugung entspricht, darf dort, wo die Grundfesten der Werteordnung angegriffen werden, nicht in einer falschen Nachsicht münden – geschützte Rechtsgüter und die verfassungsmäßige Ordnung müssen aktiv geschützt werden. Hierzu bedarf es neben dem effektiven Rechtsstaats auch zivilgesellschaftlicher Aufklärungskampagnen gegen Hass und Hetze und für Demokratie und Meinungsvielfalt.
  9. Das Zeitalter der Digitalisierung muss auch das Zeitalter der Medien- und Digitalkompetenz sein: Angebote zur digitalen Bildung gilt es daher zu stärken und Zentren für digitale Kompetenz zu schaffen. Für alle Menschen gilt es passgenaue Angebote für die Herausforderungen einer digitalen Welt anzubieten und lebenslanges Lernen zu unterstützen. Ziel ist der kontrollierte und bewusste Umgang.
  10. Die offene Gesellschaft muss sich gegen ihre Feinde wehren, aber sie darf im Kampf gegen sie nicht die gleichen Mittel verwenden, sonst endet auch sie in der Tyrannei. Gegen ausländische staatliche Propaganda hilft keine Gegenpropaganda. Es gilt die Unabhängigkeit des Journalismus zu einer maßgeblichen Grundlage der Zusammenarbeit mit dem Ausland zu erklären und das Prinzip der Staatsferne in den Medien auch gegenüber ausländischen Anbietern, die ins Inland verbreiten wollen, durchzusetzen. Nur so sichern wir die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berichterstattung.

 

Hier ist der vollständige Beitrag von Uwe Conradt als PDF-Dokument verfügbar