Uwe Conradt (Direktor, LMS): Keine Angst vor Google!

04.04.2018, ein Beitrag von

Impuls zur Vorstellung des Projekts Google und die Bundestagswahl

Veröffentlicht in promedia – Das medienpolitische Magazin 4/2018

Angst ist meistens kein guter Ratgeber – Angst verengt den Blick, führt oft zu übertriebenen Reaktionen und lässt Chancen außer Acht. Das gilt auch für den Umgang mit Big Data und der global agierenden Internetkonzernen wie Google. Das Ausrufen des Endes der Demokratie ist publikumswirksam aber unzutreffend oder zumindest vorschnell. Dem Alarmismus unserer Zeit, schwingt oft ein Stück Verklärung mit, Verklärung einer Zeit, in der Menschen ihre Informationen fast ausschließlich über eine Tageszeitung und drei öffentlich-rechtliche Fernsehsender bezogen haben, in der Kommunikation teuer, stationär war und eine Wählscheibe hatte. Eine solche Zeit verdient jedoch keine Verklärung, sie ist Vergangenheit und damit eine Projektionsfläche, die uns mahnen sollte, endlich angemessene Antworten auf die Fragen der Gegenwart und Zukunft zu finden.

Sehen wir die (Medien-)Welt, wie sie ist

Die Digitalisierung hat den Wandel der Medienwelt nochmals beschleunigt. Erstmals in der Geschichte der Menschheit kann jeder Mensch zum Medienanbieter werden und nahezu kostenlos eigene Medieninhalte verfügbar machen – die technisch fast allen Menschen zugänglich sind. Journalisten und Medienunternehmen haben ihre einstige exklusive Stellung bei der Informationsvermittlung verloren. Über Plattformen und Suchmaschinen werden viele dieser Medienangebote von Kleinanbietern erst zugänglich und auffindbar Sie sind diejenigen, auf die gezeigt wird, wenn gefragt wird: „Wer macht den Kanzler?“.

Entgegen aller Unkenrufe ist diese Umwälzung der Machtverhältnisse verbunden mit einem Gewinn an Beteiligung, eine Chance für die demokratische Gesellschaft, für Vielfalt und Freiheit.

Gleichzeitig steigt aber auch die Gefahr des Verlusts der Funktion der Medien in der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Beeinträchtigt werden die Unabhängigkeit und das Gebot der Staatsferne, die Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt bei gleichzeitigen Einflussnahmen von kleinen ideologischen Interessengruppen und nicht zuletzt auch ausländischen Mächten.

Die Plattformökonomie mit ihrer Kostenloskultur und der Entkopplung der Werbeerlöse von der Erstellung von Inhalten hat alle bisherigen kommerziellen Geschäftsmodelle der Medienökonomie unter Druck gesetzt und selbst der Rundfunkbeitrag leidet unter Akzeptanzproblemen und wird von einer wachsenden Anzahl von Menschen kritisch hinterfragt.

GAFAM und die deutschen Zwerge

Die wertvollsten Unternehmen der westlichen Welt heißen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM) mit Marktkapitalisierungen zwischen 400 und über 700 Milliarden Euro – wohlgemerkt je Unternehmen. Vergleicht man diese mit den einst so stolzen und so selbstbewussten deutschen Medienunternehmen Axel Springer oder ProSiebenSat.1 muten diese – trotz aller propagierten Digitalisierungsstrategie – wie ökonomische Zwerge an, kommen sie doch nur auf ein bis zwei Prozent der Marktkapitalisierung eines der GAFAM-Unternehmen.

Plattformökonomie – wirtschaftliche Macht als Herausforderung

Marktstarke Plattformen, Betriebssysteme und Soziale Medien erzeugen enorme komparative Kosten- und Nutzungsvorteile und verdrängen in letzter Instanz alle Mitbewerber in kleine Nischen. Es ist das Marktsetting von natürlichen Monopolen – ein alt-bekanntes Phänomen der Wirtschaftsliteratur. Der Verbraucher ist in seiner Auswahl hierdurch eingeschränkt.

Am Beispiel von Google kann man sehen, wie die konsequente Nutzung von BigData eine Suchmaschine verbessert und damit Marktanteile jenseits der 90 % erzeugt. Die zum Google-Konzern gehörende Videosharing-Plattform YouTube hat – nach Kauf und Eingliederung in Google – alle Konkurrenten weit abgehängt und weist mindestens genauso hohe Marktanteile wie die Suchmaschine aus. Mit dem Betriebssystem Android ist der Zugang zu rund 80 % der mobilen Endgeräte in der Hand von Google, in der Regel gekoppelt mit Nutzerkontodaten und Standortdaten. Wen wundert es da, dass sich mit Google News ein Newsaggregator gebildet hat, der ebenfalls seine Gattung extrem dominiert.

Big Data führt zu einer Wirtschaftsordnung in der Datenmonopolisten einer atomisierten Nutzerschar gegenüberstehen. Das Machtgefälle einerseits und die Abhängigkeit der Nutzer von den zentralen Diensten der digitalen Welt andererseits unterminiert die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft in einem zentralen Bereich.

Alle GAFAM- Unternehmen haben in einem oder mehreren zentralen Bereichen der IT-Wirtschaft Produkte, die durch ein massives organisches Wachstum – meist unter Ausnutzung fast unbegrenzter Kapitalverfügbarkeit – eine monopolähnliche Stellung mit Gatekeeperfunktion für andere Wirtschaftsteilnehmer eingenommen. Der damit verbundene Effekt ist altbekannt und oft beschrieben, er lautet: wirtschaftliche Macht. Dieser Effekt ist weder zeitlich, örtlich oder sachlich beschränkt. Das Beispiel der digitalen Assistenten zeigt, dass in einem neuen Markt, der Plattformeffekte aufweist, ernsthaft nur noch die bestehenden Akteure eingreifen können. Es ist nur die Frage, ob Amazons Alexa oder Google Home das Rennen macht, oder etwa doch der Homepod von Apple. Auch dieses jüngste Beispiel mahnt, es sind Maßnahmen erforderlich. Zuwarten wird unsere Situation nicht verbessern, sondern tendenziell verschlechtern.

Anhängern unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung seien zum Thema wirtschaftliche Macht die Worte Ludwig Erhards ans Herz gelegt:  „Durch wirtschaftliche Macht kann der Marktpreis, […], willkürlich verändert und damit also auch der Marktablauf im Interesse und zum Vorteil der einflußnehmenden Machtgruppen bewußt und künstlich gelenkt werden. Der so gelenkte Preis ist für die monopolistisch organisierte Marktleistung kein `Datum´ mehr, dem sich die Einzelsubjekte um der Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit willen anpassen müssen, sondern er kann nun nach eigenem Ermessen festgesetzt und manipuliert werden.“

Es ist der Bereich, der in der alten analogen Welt dem demokratischen Rechtsstaat vorbehalten war, die Straße, die Versorgungsleitungen, der Marktplatz, der sogenannte „öffentliche Raum“.

Es handelt sich somit um eine Herausforderung des Rechtsstaates und eine Herausforderung für die gesellschaftliche Ordnung als solche. Wem die Idee, es handele sich bei GAFAM um souveräne Unternehmen mit mehr Macht als die souveräner Staaten, widerstrebt, dem sei ein Blick auf Berichterstattung und Ablauf der Empfangszeremonie bei „Staats“-Besuchen von hochrangigen Vertretern von GAFAM empfohlen.

Um es klar zu sagen: Dies ist kein einseitiger Vorwurf an diese Unternehmen. Sie bieten gute, teilweise sehr gute Produkte an. Politik und Institutionen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob nicht bereits früher Maßnahmen erforderlich gewesen wären, um den mittlerweile eingetretenen Zustand in der sozialen Marktwirtschaft zu verhindern.

Insofern geht es um mehr als „nur“ die Sicherung der Meinungsvielfalt, es geht um die Wirtschaftsordnung als solche. Bereits Erhard warnte davor, dass Monopole die Fundamente sprengen können, auf denen unsere gesellschaftswirtschaftliche Ordnung steht. Es klingt nach heutigen Maßstäben revolutionäre, was er für den Umgang mit Monopolen empfiehlt, oder offenbart dies nur den Kern des Problems? Er empfiehlt: „Bilden sich wirtschaftliche Monopole, so sind sie zu beseitigen und bis dahin der staatlichen Aufsicht zu unterstellen.“

Keine Angst vor Google und Co. – was nun zu tun ist:

Die Ordnungspolitik der sozialen Marktwirtschaft, die dem Grundgesetz zugrundliegende Werteordnung und speziell der Auftrag zur Schaffung einer positiven Medienordnung geben uns das nötige Rüstzeug bei der vor uns liegenden Aufgabe.

  1. Keine Angst! Wir dürfen nicht kapitulieren vor Größe und Macht von Unternehmen und scheinbaren Zwängen der Globalisierung.
  2. Positive Medienordnung! Nicht das Laissez-faire führt zur bestmöglichen Ordnungsform für Medien in der Bundesrepublik Deutschland. Es sind insbesondere die Länder gefordert, ihre (unabhängigen) Institutionen so (mit Kompetenzen) auszustatten, dass Recht effektiv durchgesetzt werden kann und damit auch in der digitalen Welt das Konzept der positiven Medienordnung erhalten bleibt; insbesondere gilt es die Instrumente zur Vielfaltssicherung und Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht auf diese Akteure auszurichten.
  3. Angemessen und intelligent handeln! Eine intelligente Regulierung ist die Basis aller Bemühungen, den Wettbewerb wieder in Gang zu setzen. Die eingesetzten Instrumente zur Vielfaltssicherung müssen das Prinzip der Markt- und Ordnungskonformität beachten.
  4. Mehr Transparenz auf Plattformen! Die Kriterien zur Aggregation, Selektion und Präsentation von Inhalten ebenso wie die Angaben über Einfluss personenbezogener Daten und vorangegangenen Nutzungsverhaltens sind von den Anbietern verfügbar zu machen.
  5. Diskriminierungsfreiheit auf Plattformen! Die Bevorzugung eigener Inhalte muss verboten und das Gebot der Chancengleichheit durchgesetzt werden.
  6. Soziale Marktwirtschaft! Nicht das Laissez-faire führt zur bestmöglichen Ordnungsform für Gesellschaft und Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, sondern das Konzept der sozialen Marktwirtschaft in der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dazu müssen die Bundesverwaltung und deren (unabhängige) Institutionen in die Lage versetzt werden, Recht noch deutlich effektiver gegenüber den Giganten der Plattformökonomie durchzusetzen.
  7. Standortförderung und Bildung! Milliarden für die Forschung sind insbesondere dann gut angelegt, wenn der Wissenstransfer bei einer gut ausgestatteten Digitalstandortförderung in die Gründung neuer Unternehmen mündet, damit neue Global Player der Digitalwirtschaft auch in Deutschland und Europa entstehen können. Bildung ist ein weiterer Schlüssel zum Erfolg.
  8. Zukunft sichern! Unsere Medien- und Wirtschaftsordnung ist ein dynamisches Konzept, das immer wieder veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden muss. Wir sollten handeln und zwar schnell!
  9. Europa ist Teil der Antwort! Europa entbindet uns nicht von der Verantwortung selbst national das Mögliche und Nötige zu tun. Es sollte uns aber helfen, das was zu tun ist, gemeinsam noch effektiver zu tun.
  10. Zuversicht! Der Angst und Zaghaftigkeit setzen wir entgegen: Mut, Zuversicht, Gelassenheit und eine entschlossene Antwort auf die Herausforderungen aus dem Silicon Valley: „Yes – we can, too“.