Diversität im Audiomarkt oder warum Audio Zukunft hat

26.10.2021, ein Beitrag von

Diversität im Audiomarkt oder
warum Audio Zukunft hat

 

Mai 2021
Ruth Meyer, Direktorin Landesmedienanstalt Saarland

War noch in den 2010ern Video der Trendsetter, gibt es längst ein spannendes Revival und neues Wachstum im Audio-Sektor. Woher kommt dieser Trend, wohin kann er führen und wie können wir diesen vielfaltsrelevanten Zukunftsmarkt fördern?

Vom Hören

Hören und Sehen – die beiden zentralen Sinneswahrnehmungen bestimmen unsere Erfassung der Welt. Dem Hören kommt dabei schon entwicklungspsychologisch eine besondere Bedeutung zu: beim Embryo ist das Ohr das erste Wahrnehmungsorgan, welches sich entwickelt und die ersten Reaktionen Ungeborener offenbaren sich, wenn ihre Eltern zu ihnen sprechen. Über den dreidimensionalen Hörsinn interpretieren wir nicht nur Geräusche, Stimmen und Laute, sondern auch Frequenzen und Schwingungen. Dadurch vermitteln sich existenzielle Orientierungspunkte wie etwa unsere Lage im Raum genauso wie emotionale Sicherheit.

Innerhalb der kindlichen Entwicklung ist das Hören von zentraler Bedeutung für die kognitive Entwicklung insgesamt und den Spracherwerb im Besonderen: Längst bevor wir lernen, uns lesend Texte zu erschließen, gelingt uns dies bereits über die auditive Wahrnehmung. Mit dem Hören von Geschichten, Märchen oder Hörspielen in der Kindheit bleiben intensive Gefühls- und Vorstellungswelten verbunden.

Zuhören ist eine aktive kognitive Leistung. Zuhörend erfasste Informationen erreichen unser Bewusstsein schnell und intensiv und lassen parallel Bilder entstehen, die – mal von eigener Erfahrung, mal von eigener Phantasie geprägt – zusammen mit dem Audioeindruck oder der Textinformation oft besonders eindringlich und stimmig sind. Wer sich mit der Nutzung von Medien auseinandersetzt, kommt also kaum um eine Beschäftigung mit dem Hörsinn herum. Es sind genau diese perzeptiven Besonderheiten des Hörens, die Radio und Audio-Tonträger mit all ihren Genres ausmachen.

Bilderfluten

Im Zuge der Verbreitung des Fernsehens, weit mehr aber noch mit der rasanten Entwicklung der digitalen Medien, getrieben durch die Verfügbarkeit mobiler Endgeräte, ging zunächst die Bespie­lung der Displays einher. Medien kommen seither vor allem visuell daher. Grafik, Brillanz, Schnitt­technik oder Animationen erzeugen beeindruckende Videowelten und visuelle Feuerwerke – gelegentlich recht losgelöst davon, was der Audiokanal parallel bereits an Fülle liefert.

Im optimalen Fall ergänzen sich diese Inputs und führen zu einem vertieften Gesamteindruck oder besseren Verständnis des Inhalts – allzu oft benötigten informative oder unterhaltende Hörein­drücke diese reichhaltige Bebilderung jedoch gar nicht oder werden hiervon sogar nachteilig überlagert. Die TV-Nachrichtenforschung der 2000er etwa hat den damals vor allem in privaten Sendern gepflegten effekthascherischen Formaten – wer sich erinnert: komplexe Inhalte, schnell artikuliert, mit Musikteppich hinterlegt, dazu vielfältige Bildelemente – jedenfalls attestiert, dass der Aufwand, den die Sender im Kampf um die Bilder betrieben, zwar hohen Aufwand, kaum jedoch einen wirklichen Mehrwert für die Zuschauer:innen bedeutete. Fraglos gelingt die Syn­these von Text und Bild heute insgesamt deutlich besser, wenn es z.B. darum geht, komplexe Informationen kompakt zu vermitteln. Hilfreich ist hierfür aber auch, dass der Zeitpunkt der Informationsaufnahme zunehmend selbst gewählt werden kann – Wiederholungen einge­schlossen – und dass dank Crossmedialität auf ergänzende oder vertiefende Informationen auf den Homepages der Sender verwiesen werden kann.

Zugegeben: diese Analysen entstammen vorwiegend der Einschätzung von Baby Boomern oder der Generation X, spätestens die Digtal Natives der Generation Z sind mit den multiplen Seh- und Höreindrücken der Multimediawelt groß geworden und bringen völlig andere Erwartungen an die mediale Gestaltung mit. Offensichtlich sind aber gerade sie heute dennoch – oder vielleicht sogar: gerade deshalb – von „Audio pur“ fasziniert.

Revival der Hörmedien

Moderne Medien machen sich die eingangs beschriebene Eindringlichkeit des Hörens wieder verstärkt zunutze, indem sie sich auf das Auditive fokussieren. Hörbücher, Podcasts, Social Audio und Audio Influencing, Smart-Speaker, In Ears, …: Audio-Angebote und -endgeräte überbieten sich an Menge, Funktionalität und Coolness. Kontemplativer, persönlicher und tiefgehender wirken diese Formate und bergen damit auch spezifische Chancen und Risiken hinsichtlich Beeinfluss­barkeit, inhaltlicher Qualität, Marktentwicklung, Regulierung oder Medienkompetenz.

Für dieses Revival der Hörmedien können folgende 4 Thesen als ursächlich betrachtet werden:

  • Social Audio kompensiert Come together: Das gesprächshafte „Miteinander“ verlagert sich zunehmend auf die virtuelle Ebene – diese Entwicklung wurde zusätzlich gepusht durch Corona.
  • Audio Influencing erschließt neue Werbemärkte: Marken nutzen auditive Community-Plattformen, da durch sprechend-zuhörende Interaktion die Markenbindung gesteigert werden kann.
  • Hören ist das neue Lesen: Auditive Podcasts und Hörbücher florieren, weil sie dank mobiler Endgeräte parallel zu einer Vielzahl von Alltagstätigkeiten konsumiert werden können.
  • Qualitativ hochwertiger Bildjournalismus hat seinen Preis: Die Produktion von Bildmaterial ist grundsätzlich kostspielig.

What’s next?

Vieles spricht für ein weiteres Aufleben von ! Medienhäuser entwickeln hierfür derzeit dezidierte Ansätze und auch in der Werbung hält der Voice-Trend wahrnehmbar Einzug. Ob dies gleichzeitig auch mehr Vielfalt bedeutet, bleibt abzuwarten.

Konnektivität über soziale Interaktion und gemeinsamen Genuss sowie der allgegenwärtige Zugang zum mobilen Internet sind aktuell die zentralen Treiber für mobilen Audiokonsum. Hinzu kommt der steigende Bedarf nach Individualisierung, der durch Mass Customization im Produkt­bereich und Targeting im Servicebereich auch in Audio weiter Raum greifen wird. Somit wachsen Nischenmärkte für das Besondere, aber auch neue Handlungsfelder für die Medienaufsicht.

Medienregulierung Audio

Die Bedeutung von Empfehlungen durch Algorithmen wird auch den Audiomarkt durchdringen und aufmerksam zu analysieren sein. Transparenz und Sorgfaltspflichten als wichtige Pfeiler einer zukunftsorientierten Medienregulierung werden gebraucht, um Vielfalt abzusichern. Unter dem Stichwort „Human Recommendations“ setzen bereits 2021 viele Medienunternehmen auf alternative Empfehlungsmethoden, um User aus ihrer Bubble zu holen.

Zur Zeit dreht sich die Diskussion in Deutschland im Themenbereich Desinformation viel um sog. „DeepFakes“. Audio-Manipulationen und Sprachsynthese sollten dabei nicht unterschätzt werden: Sprache transportiert oft einen Großteil der Information und bietet daher zahlreiche Angriffsmöglichkeiten. Neben den oft diskutierten DeepFakes auf Basis von Sprachsynthese spielen aber auch „ShallowFakes“ eine wichtige Rolle. Sie sind einfach zu erstellen und dennoch oft schwer zu erkennen. Sowohl regulativ als auch durch die kontinuierliche Vermittlung aktueller Medienkompetenz müssen daher die Weichen gestellt werden, damit die öffentliche Meinungs­bildung nicht durch derart manipulierte Inhalte Schaden nimmt.

Es wäre lohnenswert, sich seitens der Landesmedienanstalten diesen Phänomenen und Zusammenhängen breiter zu widmen. Vielleicht als Schwerpunktthema im nächsten Digitalisierungsbericht.