Uwe Conradt: Journalismus zwischen Anspruch, Not und Wendigkeit

c) Carsten Simon

04.05.2018, ein Beitrag von

Von Uwe Conradt zum Internationalen Tag der Pressefreiheit

Freiheit, rechtsstaatliche Ordnung und Demokratie sind Pfeiler der offenen Gesellschaft, wie sie der Philosoph Karl Popper definiert hat. Nimmt einer dieser Pfeiler Schaden, ist das gesamte Haus in Gefahr. Die Werte unserer Gesellschaft werden gerade in diesen Tagen heiß diskutiert und oft auch mit der Frage der Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen verbunden.

Stellen wir uns aber selbst oft genug auf den Prüfstand, ob wir unsere Werte auch tatsächlich leben? Sehen wir Gefahren und treten diesen auch entgegen? Ist es nicht oft eine Mischung aus Atemlosigkeit, Unkenntnis und Gleichgültigkeit, die tatsächlich den Umgang mit unseren Werten kennzeichnet?

Unabhängige, kritische und sorgfältig arbeitende Journalisten erfüllen eine zentrale Aufgabe in der Demokratie. Sie sind die Profis, die fragen und hinterfragen, recherchieren und einordnen. Sie haben das Recht und auch die Pflicht, einen Standpunkt zu beziehen, stoßen Debatten an und halten der Gesellschaft einen Spiegel vor.

Vorangestellt sei bei der nachfolgenden Betrachtung: Die Verantwortung für die offene Gesellschaft obliegt allen Menschen und Institutionen, sie ist nicht auf Journalisten verlagert bzw. ausgelagert. Journalisten sollten diese Verantwortung nur besonders gewissenhaft und selbstbewusst wahrnehmen.

Demokratie erfordert die ständige geistige Auseinandersetzung. Wenn alles im Gleichklang unterwegs ist und besonders harmonisch scheint, ist zuweilen die Stille der unausgesprochenen Meinung der Wehklang der Demokratie. Die Digitalisierung hat jedem Mitglied der Gesellschaft eine Möglichkeit gegeben, durch soziale Medien auf das eigene Anliegen aufmerksam zu machen. Durch Vernetzung und algorithmusgesteuerte Nachrichtenverbreitung kann eine enorme Breitenwirkung auch für Themen abseits des medialen Mainstreams entwickelt werden. Damit einher geht eine enorme Verschiebung an Macht bei der Frage, wer bestimmt, welche Themen die Schwelle der gesellschaftlichen Relevanz überschreiten.

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift oder Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Nie war dieses zeitlose Recht so wirkungsvoll auszufüllen wie heute; dieser Teil der Digitalisierung ist ein gesellschaftlicher Fortschritt, auch weil er bestehende Machtstrukturen aufsprengt. Wo früher eine zu enge Vernetzung zwischen Medien und Politik die Wahrnehmung prägte, gibt es heute mehr Transparenz und Sorgfalt auch dank kritischer und informierter Bürger, die sich einmischen. Zweifelsohne fehlt aber oft auch das Bewusstsein für die Verantwortung, die mit dieser neuen Bürger-Macht einhergeht.

Freiheit in Verantwortung

Der Rechtsstaat garantiert die Herrschaft des Rechts und schützt die Freiheit des Individuums, insbesondere der Schwachen, vor Willkür des Staates. Er sorgt dafür, dass Freiheit und Funktion der Medien geschützt sind, aber auch dafür, dass selbst diese Regeln einhalten müssen. Das Recht schützt Menschen vor falscher oder entstellender Berichterstattung in den Medien; es schafft Verantwortungskaskaden vom Redakteur bis zum Eigentümer.

Die oben skizzierte Verschiebung der Macht durch soziale Medien ist aber bislang nicht mit einer nötigen Ausweitung der Verantwortungskaskade verbunden. Die Botschaft, dass das Internet auch heute kein rechtsfreier Raum ist, scheint bei vielen immer noch nicht angekommen. Dies liegt auch daran, dass der Vollzug für viele unbekannt bzw. undurchschaubar ist und sich die Legende der Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung im Internet tief eingegraben hat in ein kollektives Gedächtnis. Das Bunte und Neue an der digitalen Welt vernebelt uns den Blick darauf, dass vieles schon mal da war. Es sind meist die altbekannten Feinde und Saboteure der Pressefreiheit, die in neuem Gewand wieder auf der Bühne stehen und im Glanz der neuen digitalen Welt ihre eigene Medienwelt gestalten wollen.

Vielfalt braucht Schutz

Apple, Google, Facebook, Microsoft und Amazon sind aufgrund ihrer Produkte Wegbereiter der digitalen Gesellschaft. Das meist organisch getriebene Wachstum ist so beeindruckend wie bedrohlich, die bestehende Konzentration schränkt die Auswahl der Verbraucher massiv ein. Wer ein Smartphone kauft, hat zwei Betriebssysteme zur Auswahl. Wer gefunden werden will, kommt an Google nicht vorbei. Viele Gruppen haben ihre Kommunikation auf Facebooks WhatsApp-Angebot verlagert und ihre Mitglieder müssen die Nutzungsbedingungen akzeptieren oder können nicht mehr teilnehmen.

Es existiert heute eine nie gekannte Abhängigkeit zwischen den Staaten einerseits und einer Handvoll Unternehmen andererseits. Um es klar zu sagen: Dies ist kein einseitiger Vorwurf an diese Unternehmen. Politik und Institutionen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob nicht bereits früher Maßnahmen erforderlich gewesen wären, um den mittlerweile eingetretenen Zustand in der sozialen Marktwirtschaft zu verhindern.

Insofern geht es um mehr als „nur“ die Sicherung der Meinungsvielfalt, es geht um die Wirtschaftsordnung als solche. Bereits Ludwig Erhard warnte davor, dass Monopole die Fundamente sprengen können, auf denen unsere gesellschaftswirtschaftliche Ordnung steht.

In unserem Falle heißt dies: Es muss rechtsstaatlich einwandfreie Sicherungsmechanismen geben, die eine vorherrschende Meinungsmacht auch von Intermediären und Plattformen verhindert – das Rundfunkrecht lässt an dieser Stelle grüßen.

Money makes the Journalism go round

Es hat eine Entkopplung von Inhalten und Werbeerlösen durch vermeintlich kostenlose Verbreitung der Inhalte über die Plattformen der Internetgiganten stattgefunden. Das Ausdünnen von Redaktionen geht mit der Vervielfachung des medialen Angebots einher. Die algorithmusgetriebene Taktung führt einerseits zu immer schnelleren Nachrichten-Bits und immer weniger Zeit für Reflexion und Recherche, andererseits zu einer Anpassung der Schreibweise auf eine möglichst reichweitenerhöhende Interaktionssteigerung. Es sind Tür und Tor für Skandalisierung und Emotionalisierung geöffnet, die selbst vor dem Wetter nicht Halt machen: Ein etwas stärkeres Lüftchen wird zum Orkan-Alarm, der Kälteeinbruch heißt Kältehammer und der Wintereinbruch wird zur Schneewalze. Diese – nennen wir sie mal – „Wendigkeit“, ist noch die ungefährlichste – wenn auch nervende – Variante der Unterwerfung unter die Marktregeln der Digitalwirtschaft. Die Kostenloskultur entzieht dem freien Journalismus oft die Existenzgrundlage. Diese Tendenz geht einher mit einer Stärkung der öffentlichen Kommunikation in Staat und Unternehmen. Hier sind die zu erstellenden Inhalte schon bezahlt und suchen keine eigene Finanzierung; gemeinhin nennt man das Ergebnis der Arbeit jedoch PR und nicht Journalismus und die ist in vielen Fällen ein Saboteur der Qualität.

Der unabhängige Journalismus braucht den Leser, Hörer, Zuschauer auch als zahlenden Nutzer. Es ist ein Kassandraruf, denn in der Regel arrangiert sich der Nutzer mit den kostenlosen Inhalten. Vielleicht ist es nur ein abwegiger Gedanke, aber könnte Werberegulierung nicht auch bedeuten, dass auch der unabhängige Journalismus an Werbeerlösen partizipiert?

Die Medienaufsicht im Rechtsstaat

Eine Zensur findet nicht statt. Der Staat ist in unserer Medienordnung nicht als Medienaufsicht vorgesehen. Das NetzDG hat nicht nur die Frage der Zuständigkeit des Bundes in der Angelegenheit aufgeworfen, sondern auch die Frage, was staatliche Aufgabe und was Aufgabe von Unternehmen bei der Durchsetzung von Recht ist. Erst vor wenigen Wochen hat das Landgericht Berlin erstmals Facebook per einstweiliger Verfügung verboten, einen Kommentar zu löschen beziehungsweise den Nutzer zu sperren. Wir sehen, das Grundgesetz gilt auch im Internet und schützt auch unliebsame, aber eben zulässige Meinungen. Und auch der Rechtsstaat kann, wenn er will, gegen die Großen vorgehen. Meistens ist es aber die Flut an kleinen Vergehen, die die rechtsstaatliche Ordnung vor eine vermeintlich unlösbare Aufgabe stellt. Dabei ist bei einer realistischen Betrachtung auch hier viel Mythos im Spiel. Angebote mit hoher Breitenwirkung haben ein besonderes Gefahrenpotential und meistens ändert sich die Welt, wenn man nur gegen wenige marktstarke Anbieter illegaler Inhalte effektiv einwandfrei vorgeht. Dies gilt im Übrigen auch beim Jugendmedienschutz. Gleichzeitig gilt es Schritt zu halten mit einer algorithmusgesteuerten Verbreitung von rechtswidrigen Inhalten, die wirksam – und das bedeutet schnell – bekämpft werden muss.

Aus Gründen der Prävention spricht vieles dafür, die persönliche Inanspruchnahme – sprich die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten – stärker als bisher ins Zentrum der zuständigen staatsfern organisierten Medienaufsicht, der Staatsanwaltschaften und Gerichte zu stellen. Die Durchsetzung der Anbieterkennzeichnung auf Twitter, YouTube, Facebook und Co. ist dabei eine zentrale Aufgabe, will man individuelle Verantwortung – und dies ist der Schlüssel zum Erfolg – wieder herstellen.

Der rasante technische Wandel zeigt auch: Wir brauchen mehr Medienkompetenz und mehr journalistische Kompetenz in der Gesellschaft: Dazu gehören auch Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander und möglichst eine Argumentation in der Sache.  Zu unserer Werteordnung gehört dabei an erster Stelle aber auch die Aufforderung Immanuel Kants: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“