„Algorithmen und digitale Macht“ – ein Impuls von Uwe Conradt

c) Carsten Simon

18.09.2018, ein Beitrag von

Algorithmen und digitale Macht: Herausforderungen für eine verbraucherfreundliche Aufsicht und Regulierung

Veröffentlicht in promedia – Das medienpolitische Magazin 9/2018

 

Braucht der mündige Verbraucher in der digitalen Welt noch eine Aufsicht und Regulierung, die ihn schützt? Kann Meinungsvielfalt in Gefahr sein, in einer Welt, in der jeder Medienanbieter werden kann und es – zumindest gefühlt – fast jeder ist. Der Begriff „Algorithmen“ steht für das Verborgene in der digitalen Welt. Der Begriff aus der IT-Welt, der auch als automatisierter Problemlöser mitunter umschrieben wird, kommt vielen auch nach etlichen Jahren, in denen Algorithmen maßgeblich die Welt prägen, immer noch fremd vor. Algorithmen sind unsere täglichen Begleiter und mit Blick auf die Datenfülle werden sie auch in Zukunft immer Begleiter bleiben.

Ein besonders prominenter Algorithmus ist der Google-Suchalgorithmus. Er ist der Suchstandard im Internet schlechthin. Von dem enorm hohen Vertrauen der Verbraucher in die Suchmaschine können klassische Medien nur träumen. Es ist das Vertrauen, dass der Algorithmus uns auf Basis der zur Verfügung stehenden Daten, das beste Ergebnis präsentiert und das ganz neutral. Dabei ist Google aber auch ein Torwächter, ein Gatekeeper der digitalen Welt, denn was von Google nicht gefunden wird, kann in weiten Teilen der digitalen Welt nicht wahrgenommen werden. Deshalb werden Webseiten auf den Google-Suchalgorithmus hin optimiert, sind die Google Richtlinien zur technischen und inhaltlichen Gestaltung der Standard für die digitale Welt der Webseiten.

Algorithmen bei Facebook, aber auch bei Youtube, Netflix oder Amazon, personalisieren das jeweilige Angebot auf Basis der bekannten bisherigen Nutzungsdaten von uns. Es sind Algorithmen zur Individualisierung des jeweiligen Angebots, besonders stark ist dieser Effekt bei Sozialen Medien. Der Facebook-Newsfeed zeigt, was mir gefällt, er dürfte mit keinem anderen Newsfeed übereinstimmen.

Dies ist einerseits die schöne, bunte digitale Medienwelt. Es ist aber andererseits auch die Welt, in der wenige global agierende Unternehmen nicht nur Standards der digitalen Welt setzen, sondern dies auch mit einer enormen wirtschaftlichen Bedeutung einhergeht.

Plattformökonomie – wirtschaftliche Macht als Herausforderung

Die wertvollsten Unternehmen der westlichen Welt heißen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM) mit Marktkapitalisierungen zwischen 400 und über 900 Milliarden Euro – wohlgemerkt je Unternehmen und mit steigender Tendenz. Zum Vergleich: die so bedeutenden deutschen Medienunternehmen Axel Springer oder ProSiebenSat.1 kommen trotz aller digitalen Angebote nur auf eine Marktkapitalisierung von 5 bis 7 Milliarden Euro. Ein GAFAM-Unternehmen ist somit hundert bis zweihundert Mal mehr wert. Warum ist dies so?

Marktstarke Plattformen, Betriebssysteme und Soziale Medien erzeugen enorme komparative Kosten- und Nutzungsvorteile und verdrängen in letzter Instanz alle Mitbewerber in kleine Nischen. Es ist das Marktsetting von natürlichen Monopolen – ein altbekanntes Phänomen der Wirtschaftsliteratur. Der Verbraucher ist in seiner Auswahl hierdurch eingeschränkt.

Am Beispiel von Google kann man sehen, wie die konsequente Nutzung von BigData eine Suchmaschine verbessert und damit Marktanteile jenseits der 90 % erzeugt. Die zum Google-Konzern gehörende Videosharing-Plattform YouTube hat – nach Kauf und Eingliederung in Google – alle Konkurrenten weit abgehängt und weist mindestens genauso hohe Marktanteile wie die Suchmaschine aus. Mit dem Betriebssystem Android ist der Zugang zu rund 80 % der mobilen Endgeräte in der Hand von Google, in der Regel gekoppelt mit Nutzerkonto- und Standortdaten. Wen wundert es da, dass sich mit Google News ein Newsaggregator gebildet hat, der ebenfalls seine Gattung extrem dominiert.

Der Erfinder des Ethernetstandards Robert Melancton Metcalfe beschrieb das Entstehen dieser natürlichen Monopole mit dem Netzwerkeffekt und brachte es auf die Gleichung: Der Nutzen eines Kommunikationssystems wächst mit dem Quadrat der Anzahl seiner Teilnehmer. Deshalb sind zwar Diskussionen über den Hashtag aus gesellschaftlicher und ökonomischer Perspektive wünschenswert, ihre Zielsetzung jedoch in der Realität der Plattformökonomie zum Scheitern verurteilt.

Big Data führt zu einer Wirtschaftsordnung in der Datenoligopolisten einer atomisierten Nutzerschar gegenüberstehen. Das Machtgefälle einerseits und die Abhängigkeit der Nutzer von den zentralen Diensten der digitalen Welt andererseits unterminieren die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft in einem zentralen Bereich. Dieser Effekt – das sei nur am Rande erwähnt – wird durch die Datenschutzgrundverordnung zusätzlich verschärft. Die Lobeshymne von Facebook auf die DSGVO ist deshalb nur allzu verständlich.

Ein umfassendes Verständnis für digitale Macht

Eine angemessene und an unseren Werten orientierte Regulierung setzt zunächst ein umfassendes Verständnis von digitaler Macht voraus. Alle GAFAM- Unternehmen haben in einem oder mehreren zentralen Bereichen der IT-Wirtschaft – meist unter Ausnutzung fast unbegrenzter Kapitalverfügbarkeit – eine monopolähnliche Stellung mit Gatekeeperfunktion für andere Wirtschaftsteilnehmer eingenommen. Die Unternehmen haben zudem eine globale Strategie. Durch diese Stellung entsteht wirtschaftliche Macht.

Digitale Macht ist jedoch mehr als wirtschaftliche Macht. Digitale Macht beruht auf einer Kombination einer marktmächtigen Plattform, mit einer Gatekeeperposition in einem wichtigen Teilmarkt bspw. durch ein Betriebssystem oder ein Endgerät, über das der Zugang von dritten Unternehmen gesteuert werden kann; hinzu kommt der Zugriff auf exklusive und riesige Datenmengen in der Kombination mit einem Algorithmus, der Auffindbarkeit bzw. Aufmerksamkeit steuert.

In der Wirtschaftstheorie geht man davon aus, dass der Markt in der Lage sein kann, Monopole durch einen schöpferischen Akt (Schumpeter) zu zerstören. Dies kann tatsächlich auch bei den bestehenden Internetgiganten passieren. Sie werden jedoch so lange in der Lage sein, ihre Marktposition zu verteidigen, wie sie entweder selbst neue Märke als erstes besetzen oder Konkurrenten in neuen Märkten aufkaufen.

Das Beispiel der digitalen Assistenten zeigt, dass zumindest in diesem neuen digitalen Teilmarkt, ernsthaft nur noch die bestehenden Internetgiganten eingreifen können. Dies hängt auch mit den riesigen Datenspeichern zusammen, auf denen die neuen Angebote aufbauen. Es ist daher eigentlich nur die Frage, ob Amazons Alexa oder Google Home das Rennen macht, oder etwa doch der Homepod von Apple oder Microsofts Cortana.

Es reicht somit nicht, dem Thema allein von der Seite der Algorithmen zu nähern, es bedarf vielmehr einer ganzheitlichen Betrachtung des Themas „digitale Macht“.

Es stellt sich die Frage, ob Unternehmen, die Gedanken, Fragen, Wünsche, Daten zu den Endgeräten und Standortdaten von Milliarden von Menschen speichern und die Auffindbarkeit und Wahrnehmbarkeit von Angeboten steuern können, über die wirtschaftliche Macht hinaus auch über politische Macht verfügen. Die Mischung aus wirtschaftlicher Macht und möglicher politischer Macht führt schon heute dazu, dass Internetgiganten mächtiger sind als wahrscheinlich die meisten Regierungen der Welt. Der Ausdruck dieser zumindest gefühlten Souveränität von Unternehmen kann bei Besuchen von Unternehmensvorständen mit Regierungsvertretern beobachtet werden, die in ihrer Inszenierung an Staatsbesuche heranreichen.

Die Öffnung der genannten digitalen Märkte ist ein Thema der Vielfaltssicherung und damit der Medienregulierung, des Verbraucherschutzes und der Wettbewerbshüter. Darüber hinaus handelt es sich um eine Herausforderung des Rechtsstaates und eine Herausforderung für die gesellschaftliche Ordnung als solche.

Medienkompetenzförderung sei an dieser Stelle auch erwähnt, denn sie ist mit Blick auf die Schärfung des Bewusstseins der Menschen, für eine kritische Wahrnehmung der Zustände in der digitalen Welt, derzeit die effektivste Maßnahme.

Modell China?

Die Vermachtung der digitalen Welt führt zur Frage, ob es Länder gibt, die weniger abhängig von den US-amerikanischen Internetgiganten sind. Der Blick führt dabei unweigerlich nach China.

Selbst im politisch immer noch dem Marxismus verhafteten China, hat man seit vielen Jahren verstanden, dass wirtschaftlicher Erfolg von Unternehmen die Basis eines funktionierenden Wirtschaftssystems ist. China versteht es seinen riesigen Binnenmarkt als Instrument der Wirtschaftsentwicklung einzurichten und gleichzeitig seine Wirtschaft auf globale Märkte auszurichten. In der Digitalwirtschaft ist es China gelungen, mit Alibaba, Baidu und Tencent (WeChat) erfolgreiche Digitalunternehmen aufzubauen, die es selbst mit Blick auf die Marktkapitalisierung durchaus mit den US-amerikanischen Internetgiganten aufnehmen können.

Die offene und demokratische Gesellschaft muss ihre Regeln durchsetzen

Vielfaltssicherung ist jedoch etwas ganz anderes als protektionistische Marktabschottung. Vielfaltssicherung ist eine Regulierung zur Sicherung der Meinungsvielfalt, weshalb das Beispiel China ganz sicher kein Vorbild für eine an unserem Wertesystem ausgerichtete Aufsicht und Regulierung sein kann – ganz im Gegenteil. In unserer Werteordnung, die ihren Ausdruck im Grundgesetz findet, ist Rundfunkfreiheit eine dienende Freiheit. Sie hat die Funktion, eine ungehinderte und freie Meinungsbildung zu gewährleisten. Auf unsere Grundrechte können sich auch Google und Facebook berufen. Wirtschaftlicher Erfolg ist per se kein Grund Unternehmen die Geschäftstätigkeit zu untersagen, er kann aber ein Grund sein, bei einer vermuteten vorherrschenden Meinungsmacht Sicherungsmaßnahmen einzuleiten.

Der Staat handelt spät, aber er handelt.

Das gesellschaftliche Klima gegenüber den Internetgiganten hat sich verändert. Der Skandal um Cambridge Analytica reihte sich in Deutschland in eine lange Diskussion um die Verantwortung des Plattformanbieters für Hatespeech ein. Die Einführung des NetzDG, der Entwurf der AVMD, Vorschläge zur Besteuerung, Absichten eine Digitalagentur des Bundes zu gründen sowie neue Befugnisse für das Bundeskartellamt zeigen, es ist etwas in Bewegung geraten. Selbst die in Fragen der Medienregulierung zuständigen Länder haben einen Vorschlag für einen Medienstaatsvertrag vorgelegt und zwar einen – wie ich finde – ganz passablen, wenn er auch in Teilen vielleicht noch weiter gehen könnte. Er weist Regelungen für Medienintermediäre auf. Das sind Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, App Portale, User Generated Content Portale, Blogging Portale, News Aggregatoren, die auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregieren, selektieren und allgemein zugänglich präsentieren und zumindest eine gewisse Marktrelevanz haben.

Besonders beachtenswert ist die Festschreibung des Marktortprinzips. Dieses ist eine zentrale Möglichkeit, Recht gegenüber den Anbietern durchzusetzen, eine zweite ist die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten. Auch dies sieht der Entwurf vor. In Zukunft soll die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) grundlegende Transparenzvorgaben zu zentralen Kriterien der technischen Vorgänge, sowie eine generalklauselartige Antidiskriminierungsvorschrift für besonders marktmächtige Medienintermediäre überprüfen.

Was noch fehlt?

Angesichts der tatsächlichen Problemlage, ist es dringend zu empfehlen, dass das fernsehzentrierte Medienkonzentrationsrecht um einen zusätzlichen Bereich für Medienintermediäre ergänzt wird. Aufschieben ist angesichts jahrelanger Abstimmungsprozesse keine zweckmäßige Option, zumal Regelungen so kommen sollten, dass es noch für ein verfassungsrechtlich gebotenes präventives Handeln ausreicht. Hier schließt sich ein Zeitfenster. Deshalb muss die Option jetzt genutzt werden.

In Ergänzung hierzu und ggfl. auch als kleiner Schritt zum Einstieg in mögliche vielfaltssichernde Maßnahmen empfiehlt es sich ein möglichst umfassendes Monitoringsystem über Angebote und Anbieter im digitalen Raum zu etablieren. Ein Vorreiter für diesen Report kommt von der Landesmedienanstalt Saarland. Die LMS erstellt regelmäßig einen Social Media, App- und Webreport und zeigt damit auch die Bedeutung einzelner Plattformen, neuer Akteure, Intermediäre oder Übertragungsnetze für die öffentliche Meinungsbildung sowie die Auffindbarkeit von Rundfunk und Telemedien. Die LMS beobachtet und erfasst, was sich im digitalen Raum tut, mit dem Ziel der Unterrichtung von Politik und Öffentlichkeit. Dieser Report könnte die Grundlage für ein gemeinsames Monitoring der Medienanstalten bilden. Was wir jedoch für eine noch bessere Erfassung bräuchten, wäre eine direkte Schnittstelle sowohl zu Internetserviceprovidern, marktmächtigen DNS-Servern, als auch zu marktmächtigen Plattformanbietern, um anonymisierte statistische Daten über Zugriffe auf Angebote, Traffic-Daten, Verweildauer, mobile und stationäre Nutzung ganz exakt erfassen zu können.

Strategie und Ausblick

In Europa und auch in dem in vielen anderen Bereichen sehr vorzeigbaren Technologieland Deutschland fehlt bislang eine umfassende Strategie, zurück auf den Digitalmarkt zu kommen. Wir müssen handeln und dürfen nicht kapitulieren vor Größe und Macht von Unternehmen und scheinbaren Zwängen der Globalisierung. Nicht Laissez-faire führt zur bestmöglichen Ordnungsform für Medien in der Bundesrepublik Deutschland. Es sind insbesondere die Länder gefordert, ihre (unabhängigen) Institutionen so (mit Kompetenzen) auszustatten, dass Recht effektiv durchgesetzt werden kann und damit auch in der digitalen Welt das Konzept der positiven Medienordnung erhalten bleibt. Eine intelligente Regulierung ist die Basis aller Bemühungen, den Wettbewerb wieder in Gang zu setzen.

Wir brauchen eine gut ausgestattete Digitalstandortförderung, die die Milliarden, die wir für Forschung aufwenden, auch in den Wissenstransfer nach Deutschland lenkt. Ziel muss es sein, Global Player der Digitalwirtschaft auch in Deutschland entstehen zu lassen. Bildung, Bildung und Bildung ist ein weiterer Schlüssel zum Erfolg.